Wenn Müdigkeit vom Herzen kommt

Wie du bleierne Müdigkeit besser verstehst – und warum sie manchmal ein Zeichen von Heilung ist

Du schläfst genug, achtest auf Ernährung und „machst endlich mal Ruhe“. Trotzdem fühlst du dich ausgelaugt, schwer oder einfach nicht mehr du selbst. Vielleicht kennst du das: Diese bleierne Müdigkeit, die nicht weggeht – egal wie gemütlich das Sofa ist. Wenn das so ist, bist du nicht allein.

Chronische Müdigkeit hat viele Ursachen. Aber: Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen einer Erschöpfung, die dir zeigt, dass dein Körper sich regulieren darf, und jener, die sagt: Ich bin im Rückzug, ich kann nicht mehr. Heute geht es darum, genau diesen Unterschied zu verstehen – damit du deinen Körper, dein Nervensystem und dein „Herz“ wieder hören kannst.

1. Müdigkeit ist nicht immer „zu wenig Schlaf“

Klar – zu wenig Schlaf, zu viel Koffein oder ein wilder Alltag machen müde. Doch wenn du trotz ausreichend Schlaf, Ruhe und gesunder Ernährung dauerhaft erschöpft bist, lohnt es sich, weiterzuschauen.

Wichtig: Müdigkeit kann auch medizinische Ursachen haben.

Dazu zählen z. B.:

  • Nährstoffmängel (z. B. Eisen, Vitamin B12, Magnesium)

  • Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)

  • Nebennierenschwäche / gestörter Cortisolrhythmus

  • Chronische Infekte oder Autoimmunprozesse

  • Schlafstörungen wie Schlafapnoe

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes

🩺 Lass chronische Müdigkeit unbedingt ärztlich abklären – insbesondere, wenn sie über mehrere Wochen anhält, sich verschlimmert oder mit weiteren Symptomen wie Schwindel, Herzrasen, depressiver Verstimmung, Atemnot oder starken Kopfschmerzen einhergeht. Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Diagnose, sondern ergänzt das Verständnis für körperlich-emotionale Zusammenhänge.

 

2. Zwei Wege der Müdigkeit – ähnlich im Gefühl, verschieden in der Botschaft

Viele erleben bleierne Müdigkeit, ohne zu wissen, ob sie krank, depressiv oder einfach nur „ausgebrannt“ sind. Zwei häufige Zustände, in denen Erschöpfung entsteht:

A. Müdigkeit als Zeichen von Regulation

Wenn du lange im Stressmodus (Sympathikus-Aktivierung) warst – also „funktioniert“ hast –, kann dein Körper beim Übergang in mehr Sicherheit und Entspannung mit tiefer Müdigkeit reagieren. Das ist nicht krankhaft, sondern ein Zeichen: Dein Nervensystem fährt runter. Du darfst loslassen. Und dein Körper zeigt dir: „Jetzt wäre es sicher, zu regenerieren.“

Typische Merkmale:

  • Du bist innerlich da, auch wenn dein Körper schwer wirkt

  • Du kannst dich spüren, deine Atmung wird ruhiger

  • Es fühlt sich manchmal fast wie ein emotionaler „Durchatmer“ an

  • Diese Phase kann Tage oder Wochen dauern – sie ist kein Rückfall, sondern ein wichtiger Teil der Heilung

B. Müdigkeit durch Untererregung / Rückzug

Ist das Nervensystem überfordert, kann es in die dorsale Abschaltung gehen – ein Zustand der Untererregung. Du fühlst dich taub, innerlich weit weg, vielleicht sogar wie in einem Nebel.

Typische Merkmale:

  • Du fühlst dich abgeschnitten von deinem Körper und deinen Gefühlen

  • Keine Kraft, kein Impuls – selbst „gute“ Dinge erreichen dich nicht

  • Trägheit, Rückzug, Antriebslosigkeit – manchmal verbunden mit Resignation

  • Auch bekannt als „Shut Down“ oder „Freeze-Zustand“ im Nervensystem

 

3. Warum beide Zustände Angst machen können

In beiden Fällen kann die Müdigkeit beängstigend wirken:

  • In der Regulation, weil wir die Ruhe nicht gewohnt sind – sie fühlt sich „falsch“ an

  • In der Untererregung, weil wir uns selbst nicht mehr spüren – das macht hilflos

Doch nur weil sich beides ähnlich anfühlt, heißt das nicht, dass beides gleich ist. Deshalb ist es so wichtig zu lernen, welche Botschaft hinter der Müdigkeit steht – und wie du ihr begegnen kannst.

4. Dein Selbsttest: In welchem Zustand bin ich gerade?

Wenn du herausfinden möchtest, wo dein Nervensystem gerade steht, dann geh diese Fragen nacheinander durch und spür beim Lesen kurz nach innen.

1. Spürst du deinen Körper?
Wenn du dich weich, klar und ein bisschen lebendig fühlst, spricht das für Regulation.
Wenn du dich kaum oder nur dumpf wahrnimmst, deutet das eher auf Untererregung hin.

2. Bist du innerlich präsent?
Fühlst du dich anwesend, auch wenn du vielleicht müde bist? Das zeigt, dass dein System sich reguliert.
Fühlst du dich eher wie „weggetreten“, abwesend oder nicht ganz da? Das ist ein Zeichen für Untererregung.

3. Wie fühlt sich deine Müdigkeit an?
Wirkt sie erleichternd, wie ein „endlich loslassen können“? Dann bewegt sich dein Körper in Richtung Regulation.
Fühlt sie sich schwer, leer oder wie eine Wand an? Das deutet eher darauf hin, dass dein System herunterfährt.

4. Hast du den Impuls zu atmen, zu gähnen oder dich zu strecken?
Wenn dein Körper das von selbst anbietet und es sich gut anfühlt, ist das ein gutes Zeichen von Regulation.
Wenn diese Impulse fehlen oder sich alles zu anstrengend anfühlt, zeigt das meist eine Phase von Untererregung.

5. Was du tun kannst – je nach Zustand

Wenn du dich in Regulation befindest:

  • Erlaube dir Ruhe.

  • Reduziere äußere Reize.

  • Halte den Raum – atmen, sanfte Bewegung, warm eingepackt sein.

  • Nimm wahr, wie dein Körper weicher wird.

Wenn du dich in Untererregung befindest:

  • Geh in Mini-Bewegung (Füße kreisen, Schultern rollen).

  • Sanfte Aktivierung durch Atmung (Bienenatmung, Tönen, Hauchen).

  • Stimme einsetzen: Summen, Seufzen, Gähnen.

  • Raus aus dem Bett, rein in den Körper – ohne Druck.

Und generell:

Such dir Regulationsräume, in denen du nicht allein damit bist. Körperorientiertes Coaching, Atemarbeit, somatische Körperarbeit oder traumasensible Begleitung können dich sanft wieder in deine Lebendigkeit führen.

 

Fazit

Nicht jede Müdigkeit ist gleich. Und: Nicht jede Müdigkeit ist „schlecht“. Manche Erschöpfung zeigt dir, dass dein Körper endlich loslassen darf. Andere Müdigkeit will dich schützen, weil das Nervensystem in alten Überlebensmustern feststeckt. Beide verdienen Mitgefühl, Verständnis und Raum. Und beides – darf sich wandeln.

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Alltagssituationen, die dein Nervensystem heimlich überlasten